In der Mediation ist „die Wahrheit“ ein schwieriges Thema, denn sie ist nicht absolut und objektiv, sondern vielschichtig und subjektiv. Die soziologische Theorie
des Konstruktivismus betont, dass Realität durch individuelle Konstruktion entsteht, was bedeutet, dass jeder von uns seine eigene Wirklichkeit schafft.
In Konfliktsituationen wird die Idee der subjektiven Wahrheit besonders deutlich. Jede Partei kann ihre eigene Perspektive als die einzig wahre ansehen. In solchen
Momenten geht es nicht darum, wer im Recht ist, sondern darum, die unterschiedlichen Sichtweisen zu verstehen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, die für alle akzeptabel ist. Besonders
schwierig wird es natürlich dann, wenn Medianden Hinweise vorliegen, die (zumindest für sie) eindeutig für eine bestimmte Darstellung der „Wahrheit“ sprechen, die andere Person jedoch bei ihrer
Sichtweise bleibt.
Doch wichtig für die Klärung und Lösung des Konflikts ist eben nicht die „objektive Wahrheit“, sondern die Gefühle und Bedürfnisse, die hinter der Deutung
bestimmter Situationen und Sachverhalte stehen. Emotionen und Bedürfnisse spielen eine entscheidende Rolle in der Mediation. Wenn wir verstehen, welche Gefühle und Bedürfnisse in einem Konflikt
im Vordergrund stehen, können wir Brücken zwischen den Parteien bauen und Lösungen entwickeln, die diesen Bedürfnissen gerecht werden.
Die Anerkennung der Vielschichtigkeit von Wahrheit und die Berücksichtigung von Emotionen und Bedürfnissen ermöglichen es uns, Empathie zu entwickeln und offen für
verschiedene Perspektiven zu sein. In der Mediation geht es also weniger um die Suche nach der einen objektiven Wahrheit, sondern vielmehr darum, einen Raum zu schaffen, in dem jede Stimme gehört
wird und alle Beteiligten sich gegenseitig verstehen und respektieren können.