Bürgerbeteiligung zeichnet sich dadurch aus, dass sich alle Bürger, auch wenn sie keine Experten für das betreffende Thema sind, einbringen können. Dennoch dürfen Sachfragen in den Prozessen nicht vernachlässigt werden. Ein Expertenhearing kann dazu beitragen, diese Fragen zu klären und somit die Grundlage für einen fruchtbaren Dialog schaffen.
Ein Expertenhearing kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten in einem Beteiligungsverfahren eingesetzt werden. Es können zu Beginn des Verfahrens wichtige grundlegende Sachfragen erörtert werden oder sich im späteren Verlauf als strittig herausstellende Themen diskutiert werden. Ein Expertenhearing ist gut geeignet, Konflikte in Bezug auf Sachfragen zu bearbeiten.
Gruppengröße: bis zu 150 Teilnehmer
Zeitrahmen: 2-4 Stunden
Kosten: Honorar für Fachleute und ggf. Moderator, ggf. Raummiete und Verpflegung
Zielgruppe: betroffene und interessierte Bürger, Politik, Verbände
Grad der Beteiligung: Information/evtl. Konsultation
Experten zu einem Thema anzuhören, ist gerade auch bei gewählten Volksvertretern eine übliche Vorgehensweise. Denn bei vielen Themen verfügen sie nicht über das notwendige Tiefenwissen, um sich direkt eine Meinung bilden zu können. Warum sollte dies bei Beteiligungsverfahren anders sein? Damit sich die Bürger konstruktiv in das Verfahren einbringen können, müssen sie sich je nach Thema bestimmte Kenntnisse aneignen.
Wie der Name verrät, werden zu einem Expertenhearing mehrere Experten zu einem Themenkomplex eingeladen. Ihre Fachgebiete sollten die verschiedenen Aspekte des Themas abdecken. Bei sehr umstrittenen Themen kann es sinnvoll sein, zusätzlich Experten von den verschiedenen Interessengruppen auswählen zu lassen. Dies stellt sicher, dass die unterschiedlichen Meinungen gehört werden, und fördert die Akzeptanz der Diskussionsergebnisse. Die Fachleute geben ihre Einschätzung zu den vorliegenden Fragestellungen ab und stehen für Fragen aus dem Publikum zur Verfügung.
Ein Vorteil eines Expertenhearings – als Zusatz zu klassischen Informationsveranstaltungen – liegt darin, dass der Fokus der Teilnehmer hier hauptsächlich auf der Klärung von Sachfragen liegt und es weniger darum geht, neue Projektinformationen zu vermitteln, mit denen viele Teilnehmer die eigene Betroffenheit ermitteln wollen. Dies versachlicht die Diskussion ein Stück weit. Zudem bietet dieses Format gerade bei komplexen und kontroversen Themen die Möglichkeit, auch Detailfragen zu klären. In einem Expertenhearing können auch Themen erörtert werden, die in den formellen Planungs- und Genehmigungsverfahren sonst keine Rolle spielen, zum Beispiel der mögliche Wertverlust von Immobilien im Umkreis von großen Infrastrukturmaßnahmen wie Strommasten oder Windenergieanlagen.
Ein Expertenhearing kann schwerpunktmäßig informativ ausgerichtet werden, kann aber auch konsultative Elemente beinhalten. So können Diskussionen mit den Fachleuten ermöglicht werden, deren Ergebnisse anschließend in das weitere Verfahren einfließen.
Vorbereitung: Meist beginnen die Überlegungen, ein Expertenhearing durchzuführen, mit einem Thema, bei dem Klärungsbedarf festgestellt wird. Sobald der Gegenstand der Veranstaltung klar umrissen ist, sollte nach Experten zu den verschiedenen Aspekten des Themas gesucht werden. Das Panel sollte eine gute Mischung ergeben: Personen aus der Wissenschaft, aus der Praxis und mit unterschiedlichen Standpunkten werden eingeladen – bei konfliktreichen Themen unter Mitwirkung der verschiedenen Interessengruppen. Wichtig ist, auf die Relevanz der Beiträge für die Teilnehmer zu achten. Oft ist es sinnvoll, bereits bei einer vorausgehenden Veranstaltung Fragen für das Expertenhearing zu sammeln. Diese sollten den Fachleuten vorab zur Verfügung gestellt werden.
Durchführung:
Nachbereitung: Die Impulsvorträge, Diskussionsbeiträge sowie Fragen und Antworten des Expertenhearings sollten schriftlich zusammengefasst und der Öffentlichkeit sowie dem weiteren Verfahren zur Verfügung gestellt werden.
Besonders bei konfliktträchtigen Themen sollte ein externer Moderator engagiert werden.
Der Begriff „Expertenanhörung“ sollte vermieden werden, da hierunter oft verstanden wird, dass eine Behörde Experten anhört. Dies suggeriert eine Verbindlichkeit, die das Format in den meisten Beteiligungsverfahren als informelles Instrument nicht hat. Wer den „denglischen“ Begriff des Expertenhearings nicht benutzen mag, kann die Veranstaltung auch „Expertengespräch“ nennen.
Bei konkreten Vorhaben sollten Expertenhearings nicht die Informationsveranstaltungen ersetzen: Es ist wichtig, zunächst das Projekt vorzustellen, bevor sich ein Expertenhearing mit verschiedenen Fragestellungen befasst.
Ein Expertenhearing findet oft im Rahmen eines "Joint Fact Finding" statt.
2012 hat die Region Stuttgart begonnen, Vorranggebiete für die Windenergienutzung auszuweisen. In den Gebieten von Schorndorf und Winterbach – die bereits zuvor einen gemeinsamen Flächennutzungsplan aufgestellt hatten – lagen fünf Flächen, die dafür in Frage kamen. Die Städte entschieden, für ihre Stellungnahme an die Region eine Bürgerempfehlung erarbeiten zu lassen. Zu diesem Zweck wurde ein professionelles Büro beauftragt.
Das Beteiligungsverfahren bestand aus zwei Planungswerkstätten und einem Expertenhearing. Per Zufallsauswahl wurden 1.000 erwachsene Personen aus dem Einwohnermelderegister ausgewählt und angeschrieben. Zudem bestand die Möglichkeit, sein Interesse an dem Verfahren über ein Formular zu bekunden. Aus den Rückmeldungen wurde eine nach Alter, Geschlecht und Stadtteilen repräsentative Auswahl von 50 Personen eingeladen. Die betroffenen Ortsteile Oberberken und Schlichten wurden dabei überproportional gewichtet. Weitere 40 Plätze im Beteiligungsverfahren standen offiziellen Vertretern der Gemeinderäte und Ortschaften sowie Mitgliedern von Bürgerinitiativen und Vereinen zu Verfügung.
In der ersten Planungswerkstatt wurden die fünf möglichen Gebiete vorgestellt. Dann fanden sich die Teilnehmer in moderierten Arbeitsgruppen zusammen, um über Stärken und Schwächen der Windenergie in den Gemeinden Schorndorf und Winterbach zu diskutieren. Zudem wurden Fragen für das Expertenhearing zusammengetragen. Weitere Fragen ergaben sich aus einem Gespräch zwischen dem Winterbacher Bürgermeister, Vertretern der Verwaltung und einer Bürgerinitiative. Zudem konnten die Teilnehmer der ersten Planungswerkstatt im Anschluss an die Veranstaltung den Fragenkatalog korrigieren und ergänzen.
Das Expertenhearing fand zwischen den beiden Planungswerkstätten statt. Es begann klassisch mit der Begrüßung und Vorstellung der Experten. Geladen waren Vertreter der beiden Städte, des Landratsamtes, des Verbandes Region Stuttgart, der Forstdirektion Tübingen, der Stadtwerke Schorndorf sowie eines Windparkbetreibers und des Virtual Dimension Center Fellbach. Im Anschluss an die Einführung stellte sich das Virtual Dimension Center, ein Netzwerk für Visualisierungen, vor und präsentierte erste 3D-Visualiserungen, unter anderem für einen Standort in Oberberken. Die Expertenrunde befasste sich im Hauptteil der Veranstaltung mit drei Themenkomplexen: 1. Emissionen, sonstige Standortfaktoren und Grundsatzfragen, 2. Natur- und Landschaftsschutz, Landschaftsbild, Naherholung und Kultur sowie 3. Technik, Wirtschaft und Finanzen. Die Ergebnisse des Expertenhearings wurden in Tabellenform aufbereitet und zusammen mit dem Protokoll öffentlich zur Verfügung gestellt.
In der zweiten Planungswerkstatt eine gute Woche später wurden offen gebliebene Fragen noch einmal diskutiert. Dann fanden moderierte Diskussionen zu den potenziellen Standorten an verschiedenen Stationen statt und die Flächen wurden mittels eines Punktesystems bewertet.
Aus den Veranstaltungen entstand eine Bürgerempfehlung, die von dem Beteiligungsdienstleister zusammengestellt wurde. In dem Dokument wird für jedes Gebiet das Stimmungsbild aufgezeigt und die wichtigsten Argumente genannt.
Das Beispiel Schorndorf und Winterbach zeigt, wie ein Expertenhearing einen Mehrwert für ein Beteiligungsverfahren bringen kann, indem es in den Prozess integriert wird. Das Expertenhearing diente in diesem Fall explizit dazu, die zweite Planungswerkstatt sowie die Bürgerempfehlung generell vorzubereiten. In der ersten Planungswerkstatt wurde zudem die Grundlage dafür geschaffen, die wichtigsten Fragen und Themen überhaupt erfassen zu können.
Auch wenn bereits im Vorfeld Fragen gesammelt wurden, sollte es im Expertenhearing die Möglichkeit geben, noch weitere Fragen zu stellen, da sich manche Fragen zum Beispiel erst durch die Antworten der Experten ergeben können.
Alle interessierten Bürger und Interessengruppen sollten die gleiche Möglichkeit haben, Fragen in das Expertenhearing einzubringen.