Treten bei einem Vorhaben Konflikte auf, liegt es oft unter anderem daran, dass Unternehmen, die Kommune sowie Bürgerinnen und Bürger von verschiedenen Auswirkungen dieses Vorhabens auf die Umgebung ausgehen. Manchmal kommen sogar Gutachter zu unterschiedlichen Ergebnissen. Um überhaupt miteinander über die Ausgestaltung des Projekts reden zu können, müssen sich die Akteure auf eine Faktengrundlage einigen. Dies kann durch ein Joint Fact Finding, also eine gemeinsame Faktenklärung erreicht werden. Durch ein strukturiertes, konsensorientiertes Vorgehen und eine gemeinsame Veröffentlichung der Ergebnisse wird die Voraussetzung für eine sachliche Debatte geschaffen.
Ein Joint Fact Finding findet am Anfang eines Beteiligungsprozesses statt, um eine gemeinsame Basis zu schaffen. Wichtig ist, dass schon genügend Fakten auf dem Tisch liegen, damit klar ist, worüber überhaupt gesprochen wird. Eine Faktenklärung kann jedoch auch angewendet werden, wenn Konflikte entstanden sind, weil die Beteiligten von unterschiedlichen Fakten ausgehen oder diese unterschiedlich interpretieren. Sie ist meist bei sehr konfliktreichen Themen nötig.
Gruppengröße: bis zu 40 Teilnehmer
Zeitrahmen: mehrere Treffen à 2-3 Stunden
Kosten: Honorar für Moderator, ggf. Raummiete und Verpflegung, evtl. weitere Gutachten
Zielgruppe: alle Akteure, die an einem Vorhaben beteiligt bzw. davon betroffen sind (Projektierer, Kommune, Bürgerinnen und Bürger, sonstige Fachleute)
Grad der Beteiligung: Information/Mitwirkung an der Faktengrundlage
Beim Joint Fact Finding geht es darum, in einen gemeinsamen Dialog über die Fakten und Auswirkungen eines geplanten Projekts zu treten. Alle Schritte werden von Anfang bis Ende gemeinsam gegangen. Die Faktengrundlage wird von Grund auf erörtert. Vertreten sind alle wichtigen, beteiligten Akteure: Vorhabenträger, Gutachter, Bürgerinitiativen, Anwohner etc. Diese haben im Laufe des Prozesses unter anderem auch die Möglichkeit, sich auf die Erstellung neuer Gutachten zu einigen. Die gemeinsame Faktenklärung trägt nicht nur zu einer gemeinsamen Diskussionsgrundlage bei, sie hilft auch dabei, das ungleiche Wissen von Fachleuten und Bürgerinnen und Bürgern ein Stück weit aufzulösen.
Prinzipien:
Vorbereitung:
Zunächst müssen alle relevanten Zielgruppen identifiziert werden. Diese können schon vor der ersten Veranstaltung die Möglichkeit bekommen, für sie wichtige Themen und Fragestellungen einzureichen, die in der folgenden Faktenklärung zur Sprache kommen sollen. Eingeladen werden wenn möglich Vertreter der einzelnen Gruppen, damit zu den Treffen nicht so viele Teilnehmer kommen, dass nicht mehr angemessen gearbeitet werden kann.
Durchführung:
Nachbereitung:
Die Ergebnisse der gemeinsamen Faktenklärung werden schriftlich aufbereitet. Diese Veröffentlichung sollte über verschiedene Kanäle verbreitet werden. In einigen Fällen kann es sich anbieten, eine Informationsveranstaltung zu organisieren, auf der die Ergebnisse vorgestellt werden.
Obwohl viele Leitfäden zu einer sozialverträglichen Energiewende dazu raten, gemeinsame Faktenklärungen durchzuführen, gibt es kaum ausführliche Dokumentationen über Fälle, in denen ein solches Format tatsächlich in diesem thematischen Rahmen zur Anwendung kam. Allerdings gibt es in einem anderen Bereich ein berühmtes Beispiel, das hier als Praxisbeispiel dienen soll: Das Regionale Dialogforum Flughafen Frankfurt (RDF) arbeitete von 2000 bis 2008 an Konfliktlösungen zu verschiedenen Themen rund um den Ausbau des größten deutschen Flughafens. Einen großen Teil seiner Arbeit stellte dabei das Joint Fact Finding dar.
Das Dialogforum wurde im Anschluss an ein Mediationsverfahren gegründet und sollte die Ergebnisse dieses Verfahrens ausarbeiten. Ein jährlich aktualisiertes Arbeitsprogramm bot dazu die Grundlage. Das Dialogforum bestand aus einem zentralen Forum mit 33 Personen und fünf Projektteams (zu den Themen „Anti-Lärm-Pakt“, „Langfristperspektiven“, „Nachtflugverbot“, „Ökologie und Gesundheit“ und „Optimierung“) sowie mehreren Kleingruppen mit insgesamt 150 Mitgliedern. Es nahmen Vertreter verschiedener Institutionen, Unternehmen, Verbände und Initiativen sowie interessierte Bürger teil. Das RDF sollte dem Austausch der verschiedenen Akteure und als Berater für den formellen politischen Prozess dienen.
Eine gemeinsame Faktengrundlage sowie ein Ausgleich des Wissensvorteils mancher Akteure wurden als zentral für die Arbeit des RDF angesehen. Daher wurden verschiedene Instrumente des Joint Fact Finding angewandt. Die Projektteams führten Expertenhearings zu verschiedenen Themen durch, an denen alle Forumsmitglieder teilnehmen konnten. Die Geschäftsführung und die wissenschaftliche Begleitung des RDF erstellten Dokumentationen dieser Hearings, die von den Experten freigegeben werden mussten. Dies diente der Ergebnissicherung.
Zudem konnten die Projektteams gemeinsam Gutachten in Auftrag geben. Diese wurden nicht nur von einem gemeinsam ausgewählten Gutachter erstellt, sondern weitere Gutachter dienten als „Qualitätssicherer“. Diese begleiteten das Vorgehen des Hauptgutachters kritisch. Zudem beaufsichtigte jeweils ein Begleitkreis aus Vertretern der verschiedenen (Konflikt-) Parteien im Forum, der wissenschaftlichen Begleitung und der Geschäftsstelle die Arbeit des Gutachters. Der Gutachter musste das Projektteam und in manchen Fällen auch das Forum regelmäßig über den Stand der Untersuchungen informieren.
Obwohl einige Meinungsverschiedenheiten nicht beigelegt werden konnten, entstanden im Regionalen Dialogforum konstruktive Ergebnisse wie z. B. die Umsetzung eines Nachtflugverbotes. Der Nachfolger des Dialogforums heißt nun „Forum Flughafen und Region“. Es soll den Dialog fortführen und die Auswirkungen des Flugverkehrs auf die Region Rhein-Main in den Blick nehmen.
Der Ausbau des Frankfurter Flughafens ist zwar kein Energiewende-Projekt, aber wie die meisten Planungen im Rahmen der Energiewende handelt es sich hier um ein Infrastrukturprojekt und birgt schon allein wegen seiner Größe enormes Konfliktpotenzial – genau wie viele Erneuerbare-Energien-Projekte und der Ausbau der Stromnetze. Gerade bei diesen vielschichtigen Vorhaben schafft ein Joint Fact Finding erst die Grundlage für eine konstruktive Bürgerbeteiligung und Zusammenarbeit. Eine gemeinsame Faktenklärung kann jedoch nicht nur im Rahmen eines großangelegten Beteiligungsprojektes stattfinden. Auch im kleinen Rahmen ist die Nutzung dieser Methode möglich und notwendig.
Eine gemeinsame Faktenklärung ist nicht nur die Vorbereitung für einen weitergehenden Bürgerbeteiligungsprozess, sie kann auch explizit in ihn eingebettet werden. Zum Beispiel ist es oft sinnvoll, sich bei den ersten Treffen eines Runden Tisches auf ein Joint Fact Finding zu konzentrieren.
Wenn es sich beim Vorhabenträger um eine öffentliche Institution handelt, die Ausschreibungen durchführen muss, kann statt eines Gutachters auch eine Liste mit akzeptierten Gutachtern erstellt werden, die dann an der Ausschreibung teilnehmen können.