Um Bürger über räumliche Planverfahren zu informieren, wird bisher meist analoges Kartenmaterial verwendet. Mithilfe digitaler Karten und Raumdaten können sich Bürger dagegen interaktiv mit diesen Informationen beschäftigen und ihre Hinweise oder Vorschläge direkt in die Karte eintragen. Dazu können die Teilnehmer Punkte oder Flächen in der digitalen Karte markieren und kommentieren. Diese Beteiligungsmöglichkeit wird Public Participation GIS (PPGIS) oder auf Deutsch auch partizipatives GIS (Geoinformationssystem) genannt.
PPGIS kann orts- und zeitunabhängig als Webanwendung oder im Rahmen eines Workshops zur Verfügung gestellt werden. Es kann den Hauptteil des Plan- und Beteiligungsverfahrens bilden oder als Grundlage für weitere Schritte in diesem Prozess dienen. Verschärfte Konflikte können im Rahmen von GIS-Anwendungen kaum bearbeitet werden, Missverständnisse über räumliche Gegebenheiten jedoch durchaus aufgelöst werden.
Gruppengröße: online unbegrenzt, im Rahmen einer Veranstaltung bis zu 100 Personen
Zeitrahmen: als Webanwendung mehrere Wochen, als Workshop ein halber bis ein ganzer Tag
Kosten: Kosten für Entwicklung und ggf. Betreuung des Tools, ggf. Moderation, Raummiete und Catering für eine Veranstaltung
Zielgruppe: betroffene und interessierte Bürger
Grad der Beteiligung: Konsultation
Geoinformationssysteme wurden in den 1960er Jahren in Nordamerika entwickelt. Ab den 1980ern kamen die ersten Programme auf den Markt. Es wurde jedoch kritisiert, dass GIS Machtgefälle reproduzierten, weil die Daten von Regierungen und Wissenschaftlern zusammengestellt würden. Um nicht-privilegierte Gesellschaftsgruppen an der Erstellung von GIS-Daten teilhaben zu lassen, wurde in den 1990er Jahren Public Participation GIS entwickelt. Vor allem im globalen Süden wurde diese Idee aufgegriffen, um Lebensstandards zu erhöhen und lokale Gemeinschaften zu stärken und zu bemächtigen.
Im Rahmen von Bürgerbeteiligungsprozessen wird partizipatives GIS vor allem dafür eingesetzt, Meinungen und Anregungen zur Raum- und Infrastrukturplanung zu sammeln. Hier geht es also um die gezielte Konsultation von Bürgern zu einem raumbezogenen Thema. Damit unterscheidet sich PPGIS von sogenannter Volunteered Geographic Information (VGI), die vor allem dazu dient, Daten zu einem Thema zu sammeln, die anschließend von anderen genutzt werden können. Ein Beispiel für VGI ist die Kartenanwendung OpenStreetMap.
Auch wenn PPGIS eine innovative Möglichkeit ist, Menschen – gerade Jüngere – in Planungen einzubinden, so gelten doch ähnliche Einschränkungen wie beim Online-Dialog: Es muss beachtet werden, dass Online-Angebote wiederum Personenkreise ausschließen können, die nicht internetaffin sind, zum Beispiel ältere Bürger. Deshalb kann es sinnvoll sein, zusätzlich eine Vor-Ort-Veranstaltung anzubieten, auf der entweder gemeinsam mit dem Tool gearbeitet oder auf klassische analoge Karten zurückgegriffen wird. Zudem muss bei PPGIS-Anwendungen ebenfalls entschieden werden, ob Beiträge anonym verfasst werden dürfen, was die Hemmschwelle einer Teilnahme senkt, oder ob eine Registrierung notwendig ist, die Aufschluss über den Teilnehmerkreis gibt und die Moderation einfacher macht.
Partizipatives GIS kann auch als Tool umgesetzt werden, das lediglich in Workshops verwendet und nicht im Internet für alle zugänglich gemacht wird. Dies kann sich zum Beispiel dann anbieten, wenn die Teilnehmer zufällig ausgewählt werden sollen.
Vorbereitung:
Zunächst muss festgelegt werden, welches Ziel mit dem partizipativen GIS verfolgt werden soll: Welche Frage(n) sollen die Teilnehmer beantworten? Vor diesem Hintergrund kann anschließend ein passendes Tool entwickelt werden. Es gibt Anbieter für GIS-Plattformen, auf denen aufgebaut werden kann. Wenn kein entsprechendes Knowhow vorhanden ist, sollte hier professionelle Unterstützung gesucht werden. Die Daten, die als Grundlage für die Anwendung dienen, müssen ausgewählt und gegebenenfalls aufbereitet werden. Ist das Tool bzw. die Webseite erstellt, sollte es zunächst getestet werden, bei kommunalen Beteiligungsverfahren zum Beispiel durch die Mitarbeiter der Stadtverwaltung oder direkt durch die Zielgruppe.
Durchführung:
Nachbereitung:
Nach Ablauf des Beteiligungszeitraums sollte über die Ergebnisse informiert werden – im Internet, aber möglichst auch auf einer Informationsveranstaltung. Es sollte zudem erläutert werden, inwieweit die Ergebnisse Eingang in das weitere Plan- und Beteiligungsverfahren finden.
Für sehr kleine Beteiligungsprozesse ist PPGIS nicht geeignet, da der Entwicklungsaufwand zu hoch ist.
Bei der Gestaltung der Webseite sollte auf die Einhaltung der Datenschutzverordnung und auf größtmögliche Barrierefreiheit geachtet werden, sodass die Teilnehmer die Seite unabhängig von ihren physischen, intellektuellen sowie technischen Möglichkeiten nutzen können.
Dass Gemeinden ihren Bürgern Geoinformationssysteme als Service zur Verfügung stellen, ist mittlerweile recht weit verbreitet. Bisher werden GIS in Deutschland jedoch noch nicht sehr häufig für die Beteiligung der Bürger an Planungen – besonders im Energiebereich – eingesetzt.
Hier soll das Projekt eDrais2017 in Karlsruhe vorgestellt werden, das durchaus in den Energiewendekontext einzuordnen ist. Denn in diesem partizipativen GIS ging es um die Planung der Rad- und vor allem E-Bike-Infrastruktur. Die Karlsruher konnten auf dem Stadtplan markieren, wo diese ausgebaut werden sollte. Es handelte sich um ein Pilotprojekt im Rahmen des URBAN-INNO-Projekts, das durch das Interreg-Mitteleuropa-Programm der EU gefördert wurde. Es wurde vom Europäischen Institut für Energieforschung (EIFER) wissenschaftlich begleitet. Weitere Projektpartner waren das CyberForum e.V., die Wirtschaftsförderung Karlsruhe und das EnergieForum Karlsruhe. Neben dem PPGIS wurde als zweites Beteiligungsformat eine Zukunftswerkstatt durchgeführt.
Zeitlicher Aufhänger war der 200. Geburtstag des Fahrrads, das in Karlsruhe von Carl Drais erfunden wurde. Ein erster Test des Public Participation GIS wurde auf dem FahrradFestival Ende Mai 2017 durchgeführt. Dort wurde auch für die Zukunftswerkstatt im September geworben. Nach Einarbeitung der ersten Verbesserungsvorschläge, konnten alle Karlsruher das PPGIS-Tool im Juni und Juli online ausprobieren, um es weiterzuentwickeln. Anschließend fand bis Oktober die Hauptphase der Online-Beteiligung statt.
Auf der Webseite, die auf Basis einer verbreiteten GIS-Plattform erstellt wurde, gab es vier Abschnitte: Zunächst wurden in einer Einführung das Ziel des Projekts und die Funktionsweise der GIS-Anwendung erklärt. Im nächsten Schritt konnten die Teilnehmer in eine Karte von Karlsruhe einzeichnen, wo ihrer Meinung nach Radschnellwege, E-Bike-Ladestationen und Sharingstationen für E-Bikes und Lastenräder sinnvoll wären. Zudem konnten Kommentare eingetragen werden. Anschließend wurden die Teilnehmer aufgefordert, einen Fragebogen mit 16 Fragen zu demografischen Merkmalen, dem eigenen Mobilitätsverhalten und der Meinung zu E-Bikes und Lastenrädern auszufüllen. Im vierten und letzten Abschnitt konnten die bisher eingetragenen Vorschläge aller Teilnehmer eingesehen werden. Es wurden über den Projektverlauf insgesamt über 500 Beiträge in die interaktive Karte eingetragen.
In der Zukunftswerkstatt konnten die Teilnehmer eine Vision für die Fahrradstadt Karlsruhe im Jahr 2025 und danach erarbeiten. Dies geschah vor allem in Gruppenarbeiten. Zudem konnte an großen (analogen) Karten gearbeitet werden.
Das Beispiel eDrais2017 zeigt ein klassisches Anwendungsfeld von Public Participation GIS: die Planung von Infrastruktur. Das Tool wurde gemeinsam mit der Zielgruppe entwickelt und mit einem Vor-Ort-Workshop kombiniert. Auch wenn es sich um ein Pilotprojekt handelte, dessen Ziel die Erprobung von verschiedenen Partizipationsmethoden war, zeigt es doch anschaulich, dass PPGIS ein nützliches Format für die kommunale und regionale Planung ist.
Die Webanwendung sollte neben dem eigentlichen PPGIS eine Erläuterung des Kontexts und der Zielsetzung des Beteiligungsverfahrens sowie eine einfache Erklärung der Bedienung enthalten.
Die Beiträge können entweder auf einer „leeren“ Landkarte erstellt werden oder die schon erstellten Eingaben anderer Teilnehmer sind direkt sichtbar. Letzteres vermeidet doppelte Eingaben, kann jedoch zu Diskussionen unter den Teilnehmern führen, die eine Moderation benötigen, und lässt meist keine Rückschlüsse auf die Häufigkeit gleicher Meinungen zu. Welche Vorgehensweise besser ist, muss im Einzelfall entschieden werden.
Um möglichst viele Menschen zur Teilnahme zu bewegen, ist die Attraktivität der Webseite entscheidend. Die „User Experience“, also das Nutzererlebnis, sollte gleichzeitig spannend und intuitiv sein.
Ginkoo-Toolbox „Akzeptanz strategisch steigern“: Partizipatives GIS:
https://akzeptanz-strategisch-steigern.de/methoden-der-partizipation/partizipatives-gis/
Praxisbeispiel: Beschreibung des Projekts auf der Webseite von Interreg Mitteleuropa:
https://www.interreg-central.eu/Content.Node/Karlsruhe-Pilot.html
Praxisbeispiel: PPGIS-Webseite (E)Bike Vision für Karlsruhe:
https://www.arcgis.com/apps/MapSeries/index.html?appid=a4792c0e03bc4205bfe3386d5c50b138